"Nicht wie die Welt ist, ist das mystische, sondern, daß sie ist".1

Anmerkungen zu Rainer Wölzls Arbeiten in der Sammlung Würth

 

Mit seinen Bildern unterläuft Rainer Wölzl die Evidenz der Wahrnehmung, des Ausdrucks und der optischen Zeichen.

Denn seine Malerei dient nicht mehr ausschließlich der Realisierung eines wie auch immer gearteten intentionalen Vorbildes. Auch dann nicht, wenn es sich wie im Falle des 44 Zeichnungen umfassenden, poetischen Zyklusses "Kleiner Wiener Walzer" (Inv. 2499) um eine Auseinandersetzung mit Frederico García Lorcas gleichnamigem Text handelt.

Vielmehr scheint sie sich nicht nur auf, sondern auch unter der Oberfläche des Bildes, als ein Machen, das unvorhersehbar und überraschend pikturale Sichtbarkeit schafft, zu ereignen.

Dabei vermitteln seine gestaffelten Malschichten die für den Betrachter verunsichernde Erfahrung, daß das Bild als das faktisch Gemalte zwar wohl eine Partitur des Sehens, aber nicht unbedingt das zu sehende selbst ist.

So entstehen Wirklichkeitsbeschreibungen, sozusagen aus dem Drama der Grenze heraus. Auf diesem Grat zwischen Erscheinung und Gegenwart formuliert Wölzl seine Bildwelt, die flexibles Werden und fragmentarisches Erkennen in der Schwebe zu halten vermag, dabei das Ungewisse als Wert schätzt und gewissermaßen am Abgrund der Grenze die Freirä;ume des Unbekannten auslotet.

Gegenwärtigkeit scheint seine Bilder zu durchströmen und in den Linien und Furchen lebendige Spuren zu hinterlassen. Etwa wenn im Tryptichon "Das Gedächtnis" (Inv. 1726), aus den vermeintlich monochromen schwarzen Farbmassen - einen geeigneten Betrachterstandpunkt vorausgesetzt - wie aus dem Schlamm der Materie, schemenhaft und unwirklich menschliche Figuren verheißungsvoll auftauchen oder gerade dabei sind, wieder zu verschwinden2. Sie haben jedoch in aller Regel wenig Erfreuliches. Ihre mit den Prinzipien simultaner Bewegungsdarstellung wiedergegebenen, ausgelösten, zerfurchten Körper, haben ihre Individualität eingebüßt, sind austauschbar und allgemein geworden und vermitteln den Eindruck einer mitfühlende Teilnahme des Künstlers an ihrem Schicksal.

Mit malerischen, teilweise auch mit plastischen Mitteln beschwört Wölzl hier, wie auch andernorts, die Fragilität des Lebens. Doch das Schreckliche und das Erschreckende, das Verletzliche und das Zerstörbare der geschundenen Kreaturen wird vom Künstler keinesfalls mit böser Lust vorgeführt, sondern ist der Thematik seiner Werke immanent. Nicht nur die Bildwelt ist brüchig, sondern auch die Wirklichkeit, der sie entspringt. So zeigt Wölzl nichts als die Wahrheit, die allerdings etwas sehr Verzweifeltes sein kann, so daß Ängste, die auf den Bildern Gestalt annehmen, durchaus unsere eigenen Ängste sein können.

Seit fast 10 Jahren ist Rainer Wölzl mit seinen Arbeiten in der Sammlung Würth vertreten. Neben einem 44 Blätter umfassenden graphischen Zyklus zu F.C. Lorcas gleichnamigen Text gehören Ölbilder und zwei plastisch bearbeitete Objekte zum Sammlungsbestand. Obwohl einige der Arbeiten bereits in unterschiedlichen Ausstellungszusammenhängen des Museum Würth zu sehen waren und ein Bildaussehnitt seines Gemäldes "Rush hour" von 1986 das allgemeine Faltblatt des Museums ziert, ist die von Reinhold Würth angeregte Ausstellung in der Hirschwirtscheuer für das hiesige Publikum die erste Gelegenheit zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit Wölzls aktuellem Werk.

Beate Elsen-Schwedler, Künzelsau, 1996
(Ausstellungskatalog des Museums Würth, Hirschwirtscheuer, Künzelsau, 1996)

 

1       Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe Band 1. Frankfurt a. M. 1984, S. 84, cf. 6432, 645
2       Zum Aspekt der "Plötzlichkeit" in Wölzls Werk, vergl. auch Rudolf Burger, Dialektik der Monochromie. Notat nach einem Atelierbesuch bei Rainer Wölzl. Ausstellungskatalog. Folkwang Museum Essen, 1992, o.S. Burger berichtet a.a.0. auch, daß WöIzl seine Malerei selbst "als eine Malerei des Verschwindens" bezeichnet.