Die menschliche Existenz, ihre Bedrohung und die damit verbundene Fragilität des Seins sowie die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Sehen beschäftigen den Künstler Rainer Wölzl.
Seine Zeichnungsblöcke, Objekte, Installationen, Malereien und Filme sind komplex in ihrer Inhaltlichkeit, ihren Bezügen und Querverweisen auf (kunst-)historische sowie zeitgenössische politische, soziale und kulturelle Phänomene. Seit 1995 entstehen Tableaus aus großformatigen, einzeln gerahmten Kohlezeichnungen unter dem Titel »Museum der Schatten«. Durch die künstliche Rasterung des jeweiligen Tableaus wird deutlich, worum es ihm geht: Wölzl konstruiert seine eigenen Welten, indem er Motive aus verschiedenen Kontexten miteinander konfrontiert und damit neue Zusammenhänge schafft. Meist sind es Ausschnitte aus Kunstwerken, Filmen und Architekturen oder Fragmente von Körpern in einem nicht näher definierten Raum. Mehr oder weniger erkennt man dennoch die Motive und ursprünglichen Zusammenhänge. Einiges, obwohl nicht eindeutig erzählt, verweist auf soziale Brennpunktthemen: Charlie Chaplin in dem Film »Moderne Zeiten« auf den Maschinenterror, die Architektur des profitablen Investmentunternehmens »Black Rock« auf die kapitalistische Marktwirtschaft, die »Stock Tickers« auf die Macht der Börse, das Zitat der Klagemauer auf religiöse Brisanz.
In drei Objekten (Holz/Grafit), installiert auf hauchdünnen Bleiplatten, konzentriert Wölzl mit Augenzwinkern das Wesen der Welt: ein Polyeder für die Ratio, ein Maulwürfshügel für das Chaos, ein kippender Sessel für das schwankende menschliche Sein. Die Realität bleibt häufig verborgen in seinen Arbeiten, wie in der sechsteiligen Kohlezeichnung »Der Trichter«, die auf den ersten Blick einen kleinen See in einem idyllischen Waldstück zeigt, bei dem es sich aber um einen Bombentrichter handelt. Die ebenfalls sechsteilige Kohlezeichnung »European Security Fencing«, auf den ersten Blick ein »schönes«, abstrakt wirkendes Motiv, ist Teil eines messerscharfen (NATO-)Klingendrahts.
Oft bezieht sich Wölzl auf Werke bedeutender Literaten. 2019 entstand eine – in der Ausstellung präsentierte – Serie von 13 Monotypien. Sie verbildlichen Paul Celans Gedicht »Engführung« von 1958, in dem dieser den literarischen Versuch unternimmt, zwischen der Erfahrung des Holocaust als Überlebender und dem Weiterexistieren in einer immer noch gewalttätigen Gegenwart zu vermitteln. Weitere Monotypien von Wölzl (»Gras«) beziehen sich auf die Grasmetapher bei Celan; bei diesem beschreiben Gräser die Landschaft der Gewalt und des Todes, den Weg der Deportation: Erst das Gehen durch das Gelände ermöglicht Verstehen und Verarbeitung.
In einem Traktat von 1983 hat Wölzl seine Malerei als eine des Verschwindens beschrieben: »Alles was ich sehe, mir auffällt, mir zustößt, ist bereits vergangen (...) Vergangenheit – Vergehen – Verschwinden. Was bleibt sind Spuren, ist die Erinnerung, das Auftauchen, die Erscheinung, das Auslöschen der Zeit – zeitlos (...).« Die Zeit(losigkeit) liegt auch in dem Titel der Ausstellung und in der fünfteiligen Arbeit »Intervall«. Ebenso zeitlos ist das Schwarz, Wölzls bevorzugte Farbe – Schwarz, das alles verdeckt, immateriell, raumlos und unbestimmt ist. Nur ein zweiteiliges rotes Ölbild durchbricht die Dominanz des Schwarz in der Ausstellung. Scheinbar abstrakt, zeigt es bei genauem Hinsehen die Flügel der Siegesgöttin Nike und provoziert einmal mehr die Auseinandersetzung mit Abstraktion und Figuration, Erkennen und Ungewissheit. Wölzl versteht Kunst als die Bewahrung des Sichtbaren, der Wirklichkeit vor dem Verschwinden, einer Realität, die in die Funktionale gerutscht ist.
Petra Noll-Hammerstiel
http://www.kunstnoll.de/index.php/8-aktuelles/134-rainer-woelzlBitte