Wenig rührt vielleicht so sehr an die Arbeiten Rainer Wölzls wie der Begriff der Kreatur. Zum Schimpfwort verkommen, enthält er trotz allem seinen ursprünglichen Sinn aufrecht, ohnmächtig damit dem allgemeinen Gebrauch opponierend: Geschöpf zu sein und nur Geschöpf zu sein - und als solches trägt es die Schande, die es dem Gespött preisgibt. Erst einem Bewußtsein, daß von seiner Autonomie überzeugt war, könnte das Kreatürliche, das nicht sich selbst sich verdankt, zum Objekt der Verachtung werden - damit aber zur Signatur eines Selbsthasses, der jenen befallen muß, der aus sich sein muß und dennoch Geworfener ist. Günther Anders hat in einer erhellenden Wendung davon als von einer ontologischen Mitgift gesprochen, die den Menschen mit der Unausweichlichkeit seiner selbst als Zufälligen so konfrontiert, daß er sich ihrer schämt - denn, so Anders: sich schämen bedeutet also: nichts dagegen tun können, daß man nichts dafür kann. Zu ergänzen wäre: daß man existiert. So gesehen sind Wölzls Arbeiten auch Scham-Bilder, die genau dieses Moment von Menschsein rücksichtslos entblößen und einen Blick preisgeben, der schamlos sein muß, um diesen unverfroren standzuhalten.
Den pejorativen Gebrauch der Kreatur relativiert zwar die Beschwörung des Kreativen - aber lediglich als Ideologie. Vom Geschöpf zum Schöpfer: das ist die Beschwichtigungsformel für einen dramatischen Zustand. Weder ist jeder ein Künstler, noch läßt sich mit dieser Formel nur irgendeine Krise des Selbstbewußtseins lösen. Und alle Verwirklichungsarbeit an sich selbst tröstet nicht darüber hinweg, daß die eigene Existenz nicht das Produkt eigenen Handelns ist.
Das säkularisierte Bewußtsein des Modernen - also des Zeitgenossen - will und darf den Menschen nicht mehr als Geschöpf deuten; aber deshalb ist die Kontingenz nicht schon tatsächlich lebbar. Dialektik der Aufklärung heißt auch, die Verluste, die der Prozeß der Rationalität hinterläßt, nicht kompensieren zu können. Der qualvolle Prozeß der Menschwerdung, der sich keines Ursprungs mehr versichern kann und der ununterscheidbar werden kann zur Menschenvernichtung, ist aber nicht nur zentrales Motiv, sondern auch ein Formprinzip selbst bei Rainer Wölzl.
Es scheint, als würde die Farbe selbst die Gestalt gebären. Wölzls großformatige, meist mehrteilige Bilder wären unter dieser Perspektive auch als Variationen von &Uml;bergängen zu sehen. Die zähflüssige, durch Sägespäne verstärkte ölfarbe wird immer wieder an die Grenze des Reliefartigen getrieben, die Fläche in den Raum geschichtet, rauh und spitz panzert sich die Farbe gegen den Blick des Betrachters; die nahezu ablesbare Gewalt des Entstehungsprozesses und seines Resultats wendet sich gegen alle Berührungsversuche. Wölzls Bilder bedürfen keiner Ausstellungsordnung. Das Noli me tangere ist ihnen selbst eingeschrieben. Wer sie berühren wollte, müßte fast Angst haben, sich an den Farben die Haut der Fingerkuppen zu verletzen. Das bevorzugte Monochrom bricht sich in solchen Strukturen auch dort, verliert den Charakter der Eindeutigkeit, wo keine abgestuften Valeurs, keine Einsprengsel einer anderen Palette sichtbar werden. Die Farbe wird zur Dynamik, zum Ereignis. Und das Nichtgegenständliche selbst, rein solches oft noch in den Seitenstücken, drängt sich zur Gestalt, läßt diese manchmal nur erahnen, manchmal hervortreten, ein Körper, von dem ungewiß ist, ob er soeben aus der Farbe sich formt, herausgepreßt, ja zur Erscheinung gequält wird oder in diese, in die Leere, die Abstraktion zurücksinkt. Eines der Hauptstücke der neueren Arbeiten Wölzls in diesem Zusammenhang ist wohl Decrescendo. Eine fünfteilige, durch eine im Raum sich staffelnde Anordnung gebrochene Serie von Großformaten, durch die ein Mensch förmlich zerstückelt in ein bodenloses Schwarz fällt. Penibel ist angegeben, in welchem Winkel zum Boden die Tafeln zu stellen sind: 90', 67,5', 45', 22,5', 0'. Mit solcher Ordnung kontrastiert der Gegenstand entscheidend: die Symmetrie der Destruktion. Diese An-ordnung schlägt um in eine Bewegung: ein Drehen, ein Fallen und läßt gleichzeitig das Phantasma einer Rotationsmaschine aufkommen, zwischen deren Blätter der Mensch geraten ist. Das Stürzende, sein Rhythmus, Kluften, das Zerschneiden eines Körpers: damit ist vielleicht ein Ton angeschlagen, der schon einmal seine Gestalt gefunden hatte:
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.
Hyperions Schicksalslied immerhin wußte die schwindenden Menschen noch vor der Folie der seeligen Genien. Wölzls Kreaturen müssen auch solch beschämenden Trostes entbehren. Was an ihnen sich abzeichnet, gleicht verkrusteten Konturen im Schlamm, gehärteten Formationen aus Asche, die alle Humanität längst in sich, in ihre gekrümmten Leiber, zurückgenommen haben. Und zwei Reliefs aus Bronze halten beängstigend die Differenz zwischen einer artistischen Strukturierung des Metalls und dem Anblick eines in seine Teile zerfallenden, der Erde zurückgegebenen Skeletts offen. Auch hier markiert Wölzl einen Moment, in dem der Materie selbst eine Metamorphose, in welcher Richtung auch immer, abgerungen wird. Niemand scheint ausgelieferter als der, der nur er selber ist. Eine kleine Bronzeskulptur Wölzls zeigt einen männlichen, armlosen Torso, in einem Winkel von annähernd 45' in den Boden getrieben. Der Keil nennt der Künstler diese Figur, und der Name verrät in der Tat entscheidendes: die aufgeraute, aufgerissene Oberfläche des Körpers findet mit der raumstrukturierenden diagonalen Lage zu einer Einheit, die einen unheimlichen haltlosen Halt demonstriert: als habe das Schicksal diesen Menschenkeil in die Unausweichlichkeit einer beschädigten Existenz getrieben.
Haltlosigkeit aber ist vielleicht überhaupt ein zentrales Moment der Gegenständlichkeit von Wölzls Tafelbildern. Was aus der Farbe sich herausquält oder in ihr vergeht, sind Konturen von Körperteilen, denen die Kompositionen keinen Angelpunkt im Bildraum verleihen mag. Sie hängen ins Bild, wie die Füße im Triptychon Die spanische Wand, oder drehen sich aus diesem, verstreute Elemente des Anthropos, Fragmente des Lebens und - des Todes; Stückwerk, das, wie im Gedächtnis-Triptychon, zu einer verzweifelten Einheit der sexuellen Leiber, zu einer seltsamen Androgynität sich verwirren mag. Und wenn ein hochformatiges Bild einen Frauenkörper in die Tiefe einer Schwärze zurückschleudert, aus der sie der Betrachter vielleicht soeben erst mühsam mit seinem Auge geschält hat, so wird im artistisch hochgestreckten - oder: verzweifelt hochgerissenen Bein, im zurückgebeugten oder: zurückgerissenen Oberkörper ein Modell zitiert und - negiert: Degas' Bin Bezug
alletteuse, aber verdunkelt; entkleidet und entstellt zum Kern ihrer Bewegung: der klaffenden Scham.
Wölzl nannte seine eigene Malerei, eine Malerei des Verschwindens und er zitiert mitunter jenes Ideal des Schwarzen, von dem Adorno in der Ästhetischen Theorie schrieb, daß es inhaltlich einer der tiefsten Impulse von Abstraktion sei, von einer Abstraktion allerdings, die gerade die radikalsten Kunstwerke um ihrer Radikalität willen an einen Rand des Verstummens bringen. Doch Wölzl hält an diesem Punkt nicht. Weder variiert er weiter eine reine Abstraktion, die notwendigerweise ihre Radikalität verlieren muß und zum Dekor wird, noch kehrt er zu einer ebenso reinen Gegenständlichkeit zurück, die eine asketische Moderne der Lüge zeihen würde.
Wölzl hingegen nimmt Adorno gleichsam beim Wort, trägt den Gegensatz, die Dialektik der Abstraktion aus: inhaltliche Schwärze - die Modellierung eines Gegenstandes aus seiner kunstpraktischen Verneinung. Schattenbilder heißt dann auch ein Zyklus, der in einer durch die Technik von öl auf Papier evozierten Mattheit die Menschen, die einsam auch dann noch sind, wenn sie einander umschlungen halten, wie Schemen aus dem Dunklen ins Dunkle treten läßt.
Das Schwarze transzendiert bei Wölzl so selbst seine Qualität als chemische Farbe. Seine physikalische Bestimmung als Negation, Absorption von Licht läßt es zum Bild von Negativität schlechthin werden, zur Negativität als Bild; einer Negativität allerdings, nach der eine unstillbare, obszöne Begierde wohl auch verlangt: Negation, schrieb Adorno vermag in Lust umzuschlagen, nicht ins Positive. Das ästhetische Vergnügen an Wölzls Arbeiten ist von solcher dunklen Lust gespeist. Das Schwarze, die Melancholie, das Sinistre entwickelt eine ästhetische Sogkraft, die den Betrachter noch mit dem Unversöhnten imstande ist zu versöhnen.
Wölzls Motive als Kreaturen zu identifizieren, heißt aber auch in strengem Sinne den schöpferischen Akt als jenen Prozeß zu sehen, der sich selbst zitiert und: in einen Augenblick bannt. Die akademische Frage Abstraktion oder Realismus stellt sich so bei Wölzl erst gar nicht. Und dies nicht, weil seine Arbeiten in bezug auf diese Frage eindeutig Partei ergriffen, sondern weil sie ästhetische Reflexionen auf das Verhältnis von Abstraktion und Gegenstand, von Struktur und Wirklichkeit selbst sind - Reflexionen, die sich allerdings beängstigend in Schwebe halten, die Körper aus dem Nichts hervortreten und in dieses zurücksinken lassen. Dies allein schon machte diese unendlich verletzlich. Indem Wölzl aber den Körper des Menschen nahezu generell als Torso, das heißt als verstümmelten auffaßt, gewinnt die Kreatur noch eine Bedeutung: sie ist, als solche oder als Resultat von Geschichte, geschunden. Die ontologische Mitgift der Kontingenz bekommt einen bitteren Beigeschmack: das Leid. Dieses ist aber auch Resultat von Menschenwerk: Dafür können wir etwas.
"Das Leben ist eine Wunde, und die Wunde heilt so schwer" - dieser Satz aus dem Roman Die Schwerkraft der Verhältnisse von Marianne Fritz drängt sich bei manchen Arbeiten Wölzls nahezu als notwendige Assoziation auf; Verwundbarkeit aber mag eine existentielle, unhintergehbare Kategorie sein - die Verwundung selbst aber bedarf nur allzuoft eines menschlichen Akteurs. Das, was dieser hinterläßt, wird Wölzl auch zum Bild: keine Anklage, aber stumm.
Rot-schwarz: Natürlich meint diese Kennzeichnung mehr als die von Wölzl bevorzugte Palette. Aber: es meint diese primär. Es sind vorerst denotative Bezeichnungen für das, was den ersten visuellen Eindruck konstituiert: die Farbe. Und erst in Spannung zu diesem Gestus der reinen Farbe läßt sich das Konnotationengeflecht derselben entfalten: Blut und Tod, Leben und Melancholie, Wahn und Leere, der Schrei und die Stille; nicht aber die Couleurs der Politik. Diese reichen an den Ernst dieser Tafeln nicht heran. Denn diese evozieren Gegensätze, die eine furchtbare Mitte haben: den Menschen. Er hängt, in Bronze gegossen, als Mann, als Frau, armlos, den Kopf gesenkt, den Kopf zurückgeworfen, in einem Eisenkasten zwischen dem Rot und dem Schwarz, ein Stahlrohr durchbohrt seinen Oberkörper, verankert ihn in seinem senkrechten Sargkasten: halb Gehängter, Gekreuzigter, Gerichteter und halb Puppe, die man schaukeln lassen könnte. Und erst dieser Zweispalt, dieser Widersinn, der den schwer Hängenden gleichsam Farbenflügel verleiht, macht, im Wortsinn, das Pathos dieser Ensembles aus; denn Pathos, das war einmal die qualvolle Handlung: aber auf der Bühne; Pathos, das war das Leid: aber als Stimulus für die Affekte.
Nichts demonstriert dieses vielleicht stärker als die aus schwerer Bronze gegossenen hängenden Köpfe. Ebenfalls flankiert von großflächigen Farbtafeln - Rot-Schwarz und Blau-Gelb - ebenfalls eingebettet in einen kalten Eisenbehälter, lassen sie die äußersten Grenzen des Humanum in Erscheinung treten. In der Serie der Schwarzen Blätter von 1988 hat Wölzl dieses Motiv in Kohle skizziert, in einem Radierzyklus zu Paul Celans Todesfuge irrlichtern sie durch dieses Panorama der Menschenverachtung, gehorchen dort noch ganz der Tropfenform und provozieren eine unwiderstehliche, peinigende Assoziationskette: Tränentropfen, Blutstropfen und der abgeschlagene Kopf, an den Haaren aufgehängt, hochgehalten, eine Geste von unerhörtem Schrecken noch immer, aber die Triumphgeste schlechthin. Und was Farbe vermag, zeigen diese dreiteiligen Ensembles: wo in Rot-Schwarz die Farben das erschütternde Moment zu unterstreichen scheinen, die Teile zu einem melancholischen Ganzen fügen, setzen sie in Blau-Gelb die Differenz selbst: grauer, erbärmlicher, verlorener kann ein Torso kaum sein als der hängende Kopf inmitten der Intensität dieser Farben.
Immer wieder beschäftigt dieses Kopf-Motiv Wölzl, zwei Stilleben zeigen Köpfe auf einem tellerartigen Tableau, seltsam oszillierend zwischen dem Stilleben, dem stillgestellten Ding und jenem Geschenk, das Salome sich servieren ließ. Der körperlose Kopf: das ist aber mehr als ein Torso, ist mehr als ein kopfloser Rumpf. Es ist Auge ohne Blick, Zunge ohne Wort, Ohr ohne Klang: Mensch ohne Menschsein. Rainer Wölzls Bluts- und Tränentropfenköpfe aber hängen aus dem Nichts, fallen aus dem Nichts in diese Welt, kein Triumphator verkrallt sich in ihr Haar. Und dennoch: ohne ihren Behälter, ohne ihre nüchterne Verankerung, könnten sie gespenstisch zu pendeln beginnen und ihre Form, nun ganz Gewicht, näherte sich der einer Keule, einem Stein in einer Schleuder: Menschenköpfe, körperlos. Der leere Blick ihrer Augen und der stumme Schrei ihrer Münder aber ist mehr als ein Vorwurf, mehr als ein Protest, mehr als eine Empörung: ist Unseresgleichen.
Konrad Paul Liessmann, Wien 1990
(Rainer Wölzl. Rot - Schwarz. Ausstellungskatalog der Galerie Ernst Hilger, Wien)