Dialektik der Monochromie
Notat nach einem Atelierbesuch bei Rainer Wölzl

 


Wölzls Kunst ist konservativ: formal, material und thematisch. Sie ist konservativ zunächst als Malerei überhaupt (wie viel weniger strenge, gleichwohl als Kunst approbierte Expressionsmodi gibt es heute!), sodann aber auch in ihrem spezifischen malerischen Gestus, der seine Ausdrucksmittel zurücknimmt, um ihre Erkenntnisfunktionen zu steigern. Oft nur einfach schwarze Masse, freilich von optisch sehr komplexer Struktur, auf ebenen, rechteckigen Flächen, diese gelegentlich zu Diptychen oder Triptychen arrangiert - die traditionellen Parameter der Tafelmalerei bleiben gewahrt, in reduzierter Form. Kein Rahmen. Das Bild wird nicht aufgesprengt, eher könnte man sagen, es implodiert. Und dann die Figuren, die aus der Farbenmasse sich herausschälen - realistisch und abstrakt zugleich, was kein Widerspruch ist, denn die Abstraktion ist keine geometrische, sie ist ontologisch: entkleidet allen rhetorischen Beiwerks sind die Gestalten festgehalten im Augenblick ihres Auftauchens oder Verschwindens, sie existieren meist nur als Verheißung oder Spur, als Gekräusel auf einer monochromen Fläche.

Diese Malerei ist nicht skeptisch, nicht ironisch, sie ist sehr ernst. Ihr geht es um Wahrheit, nicht um Spiel. Auch deshalb ist sie konservativ. Das Schwarz dominiert, als Ausdruck von zeremonieller Düsternis, aber auch von Diskretion. Die Bilder propagieren sich nicht selber, sie drängen sich nicht auf, wollen auch nicht einfach bloß gesehen, gelesen werden, sie erschließen sich nur einer versenkenden Betrachtung. Sonst bleiben sie stumm. Sie sind nicht zudringlich, sie reden nicht als erste, sie erwarten, daß der Betrachter die Kommunikation eröffnet. Dann aber beginnen sie selber zu sprechen, eindringlich, leise, lockend und drohend. Ihr Schrecken springt nicht gleich hervor, er ist ein lauernder Schrecken, er überwältigt nicht durch einen Schock, sondern durch höfliche Einladung zur Meditation. Aber diese Höflichkeit ist eine Falle, deren Köder die Stille ist, eine beklemmende Stille, die über den finsteren Flächen liegt und die auf den Betrachter wie ein Sog wirkt. Steht man länger vor den Bildern, so hört man sich atmen, wird sich seiner Leiblichkeit, seiner Verletzlichkeit bewußt. Manchmal, nicht immer, tauchen dann aus dem Schwarz menschliche Gestalten auf, gequälte, geschundene Körper, oft nur Torsi, bei günstigem Winkel der Betrachtung, dann verschwinden sie wieder.

 

Die zerfurchte Oberfläche der Gemälde wird von Spannungen durchzogen, das Schwarz, das zunächst abstrakt und tot schien, reine Negation von Farbigkeit, beginnt sich zu beleben. Der Bildeindruck fängt an zu changieren: zwischen der Narration der sich entziehenden Figuren, für welche die Farbe nur Mittel ist und Träger, und der Thematisierung von Schwarz als Farbe selber, wofür umgekehrt das Relief des Bildinhalts nur Mittel ist. Die Dialektik zwischen Form und Inhalt, Sujet und Material, ist hier aufs Äußerste gespannt, gerade deshalb, weil beide Pole als Bildmomente minimalisiert sind: die andeutende Erzählung auf dem kargen Aufweis existentieller Grenzen, das Darstellungsmittel auf das einfache Schwarz. Durch diese Spannung aber wächst den beiden Momenten etwas Neues zu, ihre Abstraktheit schlägt um in Konkretion, partiell sogar in das Gegenteil dessen, wovon sie Abstraktionen sind. Das Schwarz, absolute Negation von Licht und Farbigkeit, beginnt zu leuchten, sich in sich selbst zu differenzieren, zu scheinen, zu strahlen und zu glitzern und es wird deutlich, daß es das Schwarz schlechthin nur als Idee gibt, ganz analog zu der des Nichts, für das es farbsymbolisch steht, und das ebenfalls nur "gibt" als begriffliche Hypostasierung einer Negation, die als solche immer an ein Etwas gebunden ist. Wie aber jede Bestimmung eine Negation ist, und alles positiv-Konkrete erst aus dem Spiel von Negationen sich ergibt, so schlägt das materiale Schwarz bei Wölzl um in eine "absolute Farbenpracht". (Tun wir nicht so, als ob wir davon überrascht wären und um die Möglichkeit dazu nicht längst schon wüßten: Als Farbe des Festes und der Trauer hat das Schwarz in sich den Widerspruch und die ästhetisch nuanciertesten Filme wurden in SchwarzWeiß gedreht, gegen ihr semiotisches Pastell ist die Buntheit des Farbfilms meist vulgär.)

 

Die gleiche Dialektik spielt auf der Seite des narrativen Bildinhalts sich ab: Die nur als Relief, als Schatten, oft nur als Schemen wie auf einer alten, verdorbenen Daguerrotypie erkennbaren Gestalten, die, eingegraben in die schwarze Masse, zunächst wie ein memento mori wirken, als eher schlichte Chiffre für die condition humaine: existieren heißt existieren unter Qualen am Rande des Nichts, die beginnen mit dem Lebendigwerden des Schwarz als Farbe selber ein unheimliches Leben zu entwickeln; ein Leben, das auch auf die nichtfigurativen Bildteile sich überträgt, letztlich über die gesamte Fläche sich verbreitet. Die Unheimlichkeit des Effekts besteht darin, daß das anorganische Material dadurch selbst organisch wirkt und eine drohende, weil unbestimmbare und unfaßbare Vitalität zu regen sich beginnt: Die zunächst wie tot wirkende Oberfläche des Bildes wird unter dem Spiel des Lichts zur Erscheinungsform einer natura naturans. 

 

Eine "Malerei des Verschwindens" hat Wölzl seine Arbeit genannt, und das ist sie ganz gewiß. Aber es ist auch das Gegenteil wahr. Im Unterschied zu seinen figurativen Bildern sind seine monochromen Gemälde - vielleicht gegen die Intentionen des Künstlers - auch Dokumente der Zähigkeit des Lebens: der Nihilismus, den sie programmatisch vertreten, schlägt nicht um in Religiosität, sondern in eine Hymne an die Materie und ihre unendlich schöpferische Potenz. Dagegen ist die Botschaft des Nihilismus nur mondän.

 

Wölzls Kunst ist konservativ. Und aus dieser Konservativität bezieht sie ihre einzigartige Kraft zum Widerstand gegen alles idealistische Geschwätz.

 

Rudolf Burger, Wien 1992
(Rainer Wölzl, Ausstellungskatalog Städtische Galerie im Museum Folkwang Essen, 1992)