(…) Es ist klar, dass dieser Text von Anbeginn äußerst umstritten war.
Celan wurde der Vorwurf gemacht, er ästhetisiere das Grauen der
Konzentrationslager, indem er es in lyrische Form brachte. Die strukturellen
Anklänge an die musikalische Form der Fuge die geradezu emblematisch steht
für die Perfektion eines harmonischen Ganzen, provozierten zusätzlich.
Wie soll man das Gedicht einordnen? Ich denke, der Sachverhalt ist
insgesamt komplexer, als die Kritik glauben macht. Eine ins Einzelne gehende
Analyse würde hier freilich zu weit führen. Vielleicht haben wir es mit einer
Parallele zu der Art und Weise zu tun, in welcher sich Hrdlicka mit Mondrian
auseinandersetzte. Das idealisierende Prinzip der Abstraktion wird untergraben
durch die grauenhafte Realität der Konzentrationslager.
Wölzl setzt diese Dekonstruktion kongenial in Szene. Er wählt aus Celans
Gedicht vier Metaphern aus, um sie fugenähnlich zu verarbeiten.
"Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und
morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken ... "
Schwarze Milch- ein Oxymoron und als solches eine Metapher für die
Sinnlosigkeit des Menschen im Leiden, ein Symbol für den Tod der
Lagerinsassen in einem Konzentrationslager. Bei Wölzl ein immer dichter
werdender Strom von Tränen oder Bluttropfen, in den die Gesichter der Opfer
unmerklich eingehen.
"Wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng ... dann steigt ihr als
Rauch in die Luft"
Grab in den Lüftcn - auch diese sinnwidrige Wortverbindung, eine Metapher
für die Vernichtung der Juden in den Vergasungsanstalten von Auschwitz. Bei
Wölzl werden die Leichen der in den Krematorien verbrannten Menschen, die
in der Wirklichkeit in Rauch aufgehen, durch Körper dargestellt, die sich in
schwarze Wolken auflösen.
"Er befiehlt uns spielt auf zum Tanz"
Er, der befiehlt. ist der Tod, ein .,Meister aus Deutschland''. Er taucht bei Wölzl
im Bild nicht auf. Nur seine Opfer sieht man im schaurigen Tanz. Die Zahl der
Tanzenden nimmt in dem Maße ab, wie die Zahl derer, die ihr Grab in den
Lüften schaufeln, zunimmt - ein schreckliches Minuendum und Augendum von Themen einer Todesfuge.
"Er pfeift seine Rüden herbei ... er hetzt seine Rüden auf uns"
Wieder ist der Tod nicht sichtbar. Er hat jetzt die Gestalt des KZ-Wärters, der
sich die Finger nicht dreckig macht, sondern der töten lässt. Ein Hund schleicht
herbei, springt herzu, wirft seinen Schatten: auf Menschen dressierte Tiere, die
gierig das Blut ihrer wehrlosen Opfer auflecken.
Albrecht Geck, 2013
(aus: Kunst Kirche Kultur. Herausgegeben von Albrecht Geck Lit Verlag Dr. W.
Hopf, Berlin, 2013)