Wer die Gelegenheit hatte, Rainer Wölzls malerische Arbeit von ihren Anfängen an (circa 1976) permanent zu beobachten, dem ging auf, daß er es mit einem Künstler zu tun hat, dem die Kunst an sich, nicht nur seine eigene, ein sehr ernstes Anliegen ist. Zeitgeist und Mode, Spekulation und Anpassung, Schielen-auf und &Uml;bernehmen-von sind keine Kriterien seines Tuns, ja bieten sich nicht einmal assoziativ als &Uml;berlegungskrücken an. Seine Entwicklung als Maler ist konsequent und schrittweise nachzuvollziehen. Zentrales Thema ist die Grundfrage jeder Kunst im 20. Jahrhundert: nach ihrem literarischen und nicht-literarischen Ansatz, dem Spannungsfeld von figurativer und nicht-figurativer Malerei. Wölzl hat sich dafür nicht die Bekenntnispose gewählt und auch nicht die der künstlerischen Ideologie, sich keiner der den wortgewaltigen Kunstrednern heftig applaudierenden Cliquen angeschlossen, sondern leise und bedingungslos sich zum Status des Jahres 1989 an den Farbdiptychen hingearbeitet.
Der Prozeß dieser Arbeit ist tatsächlich der Ausgangspunkt seines Wollens, und das Ergebnis jene Notwendigkeit der Form, die gleichzeitig fast auch schon Inhalt ist. Gewiß spielen die längst in seinen früheren Bildern ermittelten Vorgänge des Verbergens, des Verschwindens eine Rolle, gewiß aber stellt er jetzt auch denkerisch den Verlust der Ganzheit im malerischen Tun zur Diskussion, deutet an, daß es das einheitliche Weltbild des Malers wohl nicht mehr gibt, liefert so etwas wie die theoretische Fragestellung der Kunstgeschichte der Malerei in der Malerei selbst. Das Ausgeliefertsein an die Stimmung als psychisch konstitutives Element der Arbeit und an das Material selbst werden im Augenblick des schöpferischen Tuns zur Einheit und schicken den Künstler selbst auf eine gestalterische Reise, deren Ziel er nicht kennt. Was er am Anfang wußte, war das Format seines Versuchs und die Farbwahl - mehr nicht. Was er während seiner Arbeit weiß, ist, daß er bei der gewählten Farbe bleibt, von wenigen spontanen Detailreaktionen abgesehen - mehr nicht. Alles andere überläßt er der Dynamik, der eigenen sowie jener des Pinselstrichs, oder der Farbkonsistenz, ihren physikalischen Eigenschaften von Trocknung und Kumulation, von Durchdringung und Verdeckung, von der Reaktion des Materials auf die Leinwandbehandlung des Malers. Wölzl läßt sich in seinen nach den strengen Gesetzen der Farbtheorie ausgewählten Kombinationen auf den Dialog der Bestandfarben ein, wahrscheinlich auch auf jenen der Formate, wird aber sichtbar von der Doppelung bedrängt, zumindest beeinflußt. Seine konkreten Schemen, manchmal kaum lesbar, sind nicht Fixierbilder des Hintergrunds, die der &Uml;bermalung anheimfallen, sondern entstehen simultan, gleichzeitig mit den Farbdiskussionen, entwickeln sich und verfestigen sich, genau wie der übrige Farbauftrag den gleichen Risiken ausgesetzt, derselben Prozeßhaftigkeit ausgeliefert. Simultan entstehen bei Wölzl nicht nur Konkretes und Abstraktes auf der Formatfläche, sondern immer auch gleichzeitig das Formatgegenstück, ja zumeist auch parallel bearbeitete Bildvorwürfe. Der Prozeß wird damit auf mehrflächiges Malen ausgedehnt, so parallel, daß die Diptychen immer gleichzeitig zu Ende gemalt sind, sprich: die Flächenausfüllung im Material vollzogen wird.
Diese Arbeitshaltung ist von der Grundfrage des gleichzeitigen Seins von Figurativem und Nichtfigurativem geleitet und wohl auch von dem Kampf zwischen Abstraktion und konkreter Figurenmalerei. Das gegenständliche Element ist bei Wölzl aus der christlichen lkonografie abgeleitet, so meint man zumindest, hat mit dem Menschen- oder Menschteilen zu tun, fallweise auch mit der reduzierten Natur des Baumstammes; diese möglicherweise auf Kafka zurückgreifend, möglicherweise dem Kreuzesbalken verwandt. Im Figurativen verbirgt sich zweifelsfrei der Wunsch des Erzählens, eine Bildsprache des Mitteilens, während der abstrakte Umraum Schweigen simuliert, zumindest die Alternative zur Sprache. Aus diesem Dialog der Ausdrucksmittel resultiert eine Suggestion als Produktfaktor, die nur mit dem fertigen Bild und sonst nichts mehr zu tun hat. Auch das Beharren auf der Monochromie deutet darauf hin, wie mißtrauisch Wölzl gegenüber dem literarischen Duktus ist, wie er die Geschwätzigkeit der Farbzusammenstellungen fürchtet, sie zumeist, vielleicht aus der Erfahrung verletzt, fast dramatisch meidet. Sofern er nicht auf dem sicheren Boden der Grundfarben steht, ahnt er den Grad der Beliebigkeit des Dekorativen, der aus den Mischfarben herausblitzen kann, ist also doppelt vorsichtig gegenüber allen Abweichungen des Rot-Blau-Gelb. Farbrausch, Farbekstase ist für Wölzl ebenso schwätzend wie die genaue Konkretion, und wahrscheinlich nähert er sich daher dem fleischfarbenen baconschen Rosa weit vorsichtiger als dem selbsterfahrungsgewohnten Schwarz.
Wölzls Inhalte sind - multipliziert man den Prozeß als formales Kriterium mit der Thematik -Bilder als Objekte getesteter Seherfahrung. Wie ihr Schöpfer im Augenblick der Arbeit nicht das Ergebnis absehen kann, ja nicht einmal die notwendigerweise entstehenden Gewichtungen kennt, so braucht auch der Rezipient die Zeit der Seherfahrung im getasteten Vorgang. Er kann zwar noch die Spannung der Farbkombinationen, eingehüllt in die immer gleichbleibende der Formate, erfahren, muß aber dann zum Lesen schreiten, zum Abtasten der Oberfläche als prozeßhaftem Vorgang, was erst nach einiger Zeit eine Art von Ergebnis provoziert. Wölzls Diptychen sind demnach Lernbilder aus einer imaginären Schule des Sehens, die den Konsumenten, gleichgültig ob eingeweiht in die Ästhetik des 20. Jahrhunderts oder auch nicht, mit einem ihrer Hauptanliegen konfrontiert. Die Bilder sind andererseits Beschreibungen der Diskussion hier und jetzt, Lösungsvorschläge für eine mögliche Behandlung der alten Positionsthematik, manchmal möchte man sagen: fast klassisch zu nennende Belegstücke für die Auseinandersetzung literarischer und nichtliterarischer Malerei. Rainer Wölzls Arbeiten sind aber gleichzeitig auch Beschreibung seines individuellen Seins als Maler im Jahre 1989, weniger Zustandsbeschreibungen seiner Stimmungen, die eher detailliert abzulesen sind, als seines Reflexionsvermögens, jetzt malerisch -jener Ausdrucksweise, die er am besten kennt - formuliert.
Für den Betrachter, wenn er sich mit der Kunst des 20. Jahrhunderts ernsthaft auseinandersetzt, lohnt sich jedenfalls die Seh-Arbeit an Wölzls Diptychen. Er dürfte dann mehr erfahren haben, als er bisher wußte. Kunst emst nehmen gebiert Kunstverstand. Dies gilt für den Kunstproduzenten Wölzl wie für den Kunstrezipienten, den Konsumenten, den Käufer.
Manfred Wagner, Wien 1989
(Rainer Wölzl – Monochrom, Ausstellungskatalog Galerie Hermayer München und Galerie Giesler Berlin 1990)