Unstern, heiter
Zu Rainer Wölzls Konstellationen

 

Arbeiten in Zyklen und Reihen, aber auch mit Teilungen eines Bildes: Rainer WölzlsArbeiten sind vielteilig. Da sind Zyklen zu Werken von Pasolini (Salò, 1985/86), Genet(Der Balkon, 1989) und Beckett (Der Verwaiser, 1996; vgl. dazu Schor 1996) und manch Anderes visuelle Echo auf Literatur, etwa von Kafka und Celan. Da sind Reihen zu haut, Körper oder Kuss (1990er Jahre), zu Fragmenten von Körpern, die zueinanderkommen (Der Reigen, ab 1999), Extremitäten oder Geschlechtsteilen, die sich verselbständigt haben (Das Stück, 2006), auch solitäre Köpfe und Kopflose, die wiederkehren. Über die Jahre verstreut finden sich visuelle Zitate und Resonanzen auf Werke von Goya (z.B. Zu F. G., 2005-07), Giacometti und Bacon und vor allem anderen ist da das groß angelegte Museum der Schatten als ein Werk im Werk (seit den 1990erJahren), eine Sammlung, die laufend ergänzt wird. Dieses offene Museum umzäunt unterschiedlichste dunkle oder zwielichtige Szenerien, es beherbergt Arbeiten, die im weitesten Sinne Nächtlichem zugewandt sind, Dingen, die wir mehr erahnen als erkennen. Sei es, dass errichtete Sichtbarrieren gezeigt, dass Nahblicke auf vielleicht Übersehens gegeben werden, dass Schattentäler oder -würfe ein Eigenleben entfalten, das ihre Herkunft nebensächlich werden lässt. Häufig sind es Bilder von Phänomenen und Dingen, die unter keinen guten Stern zu stehen kamen oder unter keinem guten Stern standen. Und dies gilt auch für viele Arbeiten jenseits dieser Sammlung. Rainer Wölzl ist Düsterem zugewandt, rückt Gepeinigte in den Blick, ohne zu überhöhen, ohne zu profitieren. Die Haltung gegenüber Desaströsem scheint eine des Wachens zu sein –angesichts von Ereignissen, die kein Wünschen erlauben, keine Erfahrung zulassen und deshalb dem glanzvollen Licht entzogen sind. Man wacht bei Nacht. Arbeiten wie Grauendes Krieges aus der Serie Zu F.G. (2006) bringen „den abwesenden Sinn an die Oberfläche“, können als „Wachen über dem abwesenden Sinn“ verstanden werden, wie dies Maurice Blanchot für das Schreiben formulierte (Blanchot 2005, S. 57): „Wenn ich sage: das Desaster wacht, dann nicht um dem Wachen ein Subjekt zu geben, sondern um zu sagen: das Wachen geschieht nicht unter einem gestirnten Himmel.“ (Ebenda, S.67) Das erneute Zeigen, die Wiederholung, mit der Rainer Wölzl konsequent arbeitet, schützt nicht und bewahrt auch nicht, es kann als ein Aufrecht-Erhalten des Wachens verstanden werden.

 

Aber da ist auch ein Heiteres – eine Heiterkeit von der Art Goyas, mituntergrotesk, die unweigerlich aufkommt, wenn etwa ein Mensch einen Esel zu tragen hat, ein lässiges kleines Bürschchen einen gewaltigen Schatten wirft (Der Vorhang, 2007)oder Genitalien Formationen erproben (Zu Felix Salten, Josefine Mutzenbacher, 2006),sich gleichsam zu einem Gesellschaftsleben aufschwingen, wenn Ordnungen ironisch verkehrt oder munter durcheinandergewürfelt werden. So, wie es immer wieder froh machen konnte, wenn Clown Grock in großer Anstrengung das riesige Klavier zum kleinen Hocker schob: Die Freude am Absurden, Sinnbefreiten ist nicht zuletzt in Rainer Wölzls Texten wirksam (Der Idiot und der Buchhalter. Ein Stück Prosa, in:Ausst.-Kat. Ein Auge (offen) 2011, S. 41-57), durchzogen vom Lachen eines irren Lesers. Erfrischend surreale Verschiebungen kommen zum Einsatz oder auch eine2Verdichtung, die mehr kann als nur verdeutlichen. Etwa in Teorema I-IV (2021): Ist es bei Pasolini eine Reihe an Sequenzen, in der sich die Wirkung des Gastes auf die Einzelnen entfaltet, eine zeitliche Ordnung, die in etwa in der Mitte des Films einen Umkehrpunkt hat und gleichsam gestürzt wird, arbeitet Wölzl diese „Geometrie der Liebe“, wie der Film im Deutschen betitelt wurde, in eine Kaleidoskop-artige flächig-räumliche Struktur um. Hinwendung und Abstoßung, das Einander-Zufallen und Kreisen um die Irritationen körperlicher Nähe werden derart im zeitlosen Bild sichtbargemacht – auch dies ein Heiteres und damit ein zweiter Grundton, der in den Arbeiten von Rainer Wölzl ebenso auszumachen ist wie in jenen von Pasolini, Beckett oder Kafka.

 

In vielen verschiedenen Bildmedien und auch skulptural werkend fügt Rainer Wölzl seit den späten 1990er Jahren Arbeiten, zusehends Kohlezeichnungen auf Papier, zu Tableaux. Diese Papiere, nunmehr im einheitlichen Format 100 x 70 cm, finden auf zweierlei Wegen zueinander: Nach der Arbeit an potenziell Klappbarem, an zwei-, drei-oder mehrgliedrigen Strukturen, die einst, mit nur wenigen Ausnahmen Altar- und Andachtsbildern vorbehalten waren (Diptycha und Triptycha, ab Mitte der 1980erJahre; vgl. dazu Gorsen 1987), erscheinen seine Werke als in sich geteilte. Sei es, dass sich ein Bild, häufig ein uns bereits bekanntes Bild, das ebenso wenig einzigartig ist, auf vier, sechs, acht, zehn oder zwölf Papieren niedergelassen hat, darin einigermaßen monumental wird und sich mittels der kleinen Abstände zwischen den Papieren doch bescheidet – es soll eben nicht nahegelegt werden, es handle sich um ein Ganzes, so Rainer Wölzl im Gespräch. Oder sei es, dass in einer vielteiligen Anordnung mehrere Bilder, die ihrerseits Ausschnitte sind oder eine Formatveränderung erfahren haben, gruppiert wurden und zusammengesehen werden (müssen). Die Abstände in diesen Anordnungen nehmen dann freilich eine andere Qualität an; die Aktivität im Schauen verlagert sich hin zu einem Sehen von Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten, Nähten und Schnitten, zu einem Bilden von Brücken und Gräben und dergleichen. Auch diese in sich geteilten Bilder und groß angelegten Gefüge können Teil einer Reihe (z.B.Serpentine I, II, III, 2022) oder Bestandteil des Museums der Schatten sein (z.B. Der Schlaf, 2019).

Was damit angezettelt und übertragen wird, ist tätiges Schauen – eine Passion. Auge und Blick, die vielfach gezeigt werden, sei es aufgerissen, verkniffen, schelmisch oder schräg, sind letzter Halt in dem, was Wirklichkeit heißen könnte, so Gabriel Ramin Schor: „Das ist Wölzls okularer Sozialismus des postutopischen, unmittelbaren Du, der nichts mehr verspricht, außer die unendliche Intensität eines adressierenden Blicks, eines Augen-Blicks.“ (Schor 2011, S. 15) Kontaktnahme als Blick hat aber seinerseits Schattenseiten, die ebenso ansichtig werden; zum einen im aufdringlich-disziplinierenden Alles-sehen-Wollen, das Thema in Panoptikum I-IV (2017-19) ist, zum anderen im abdrängenden Nicht-sehen-Wollen, das in Pergamon (1998/99) Thema war. Zumeist aber verdeutlichen die gewählten Ausschnitte, die aufgenommenen Blicke oder Wiederholungen, dass Sichtbares und Unsichtbares einander nicht ausschließen, dass es sich dabei nicht um die Qualität eines Gegenübers handelt, sondern um eine Frage von Zuwendung, um ein Schauen als Tätigkeit, das auf dasjenige geöffnet bleibt, was außerhalb des Blickwinkels liegt.

Wiederholen und Zusammensetzen sind jene Verfahren, die geeignet erscheinen ,den Blick, das Gesehene und Verlorene gleichermaßen anzusprechen wie Tätigkeit zu akzentuieren, in Gang zu bringen. Es werden visuelle Echos montiert, es wird Erinnerung bearbeitet, die in der ein oder anderen Entstellung geblieben ist, in de Kohlezeichnung, und damit auch in einer Farbigkeit, die entrückt ist, sich erst (wieder)herstellt. Ce que nous voyons, ce qui nous regarde, so ein Titel von Georges Didi-Huberman, den Wölzl in der Übersetzung ans Ende eines kurzen Textes stellte: „Was wir sehen blickt uns an.“ (Ausst.-Kat. Ein Auge (offen) 2011, S. 5) Die Rede ist von einer Zweiteilung des Sehens, die sich im Blicken auf Etwas, das uns entgegen ragt, nicht recht verhindern lässt, weil wir diesem nicht beikommen können, weil es entzogen bleibt, und, wichtiger noch, weil es anderes verdeckt, das gesehen werden könnte, uns aber (scheinbar) nicht (be)trifft. Es gelte, intensiv zu schauen, um zu spüren, was wir dabei nicht sehen oder sehen können, das, was sich entzieht, verschwindet oder bereits verloren ist, und dies will ins Werk gesetzt werden: „Zu sehen geben, das heißt stets, das Sehen in seinem Akt, in seinem Subjekt zu beunruhigen. Sehen, das ist stets eine Operation eines Subjekts, also eine gespaltene, unruhige, bewegte, offene Operation. Jedes Auge trägt seinen blinden Fleck mit sich, neben den Informationen, für deren Besitzer es sich einen Moment lang halten könnte.“ (Didi-Huberman 1999, S. 62)

 

„[W]enn Sehen Verlieren heißt“ (Ebenda, S. 16-17), dann sind Meer und Wolken ausgezeichnete Sujets, nicht greifbar, unbewohnbar, ständig in Bewegung, keine Objekte und eigentlich auch kein Gegenüber, so etwas wie Qualitäten ohne Identität, die immer noch, malgré tout, viel angeschaut werden. „Wir lehnen die Erde nicht ab, der wir in jeder Weise angehören, aber wir machen aus ihr auch keine Zuflucht, nicht einmal für die Zeit des Aufenthalts...“ (Blanchot 2005, S. 140). So auch in Licht, Luft, Träume (2022), dem Museum der Schatten zugeeignet: Eine gewaltige Arbeit sowohl das Format (gesamt 202 x 430 cm) als auch den Arbeitsaufwand betreffend, 12-teilig. Aber es ist nur ein Augenblick, der gezeichnet wurde; ein Augenblick, in dem sich einem mächtige Wolkenmasse, umspielt von mehr kräuselnden Ausläufern, am Himmel vergnügte und doch die See in völliger Ruhe lag. Nur ein Lichtstrahl, der einen Weg fand, sich flüchtig auf der Oberfläche niederzulassen, erinnert noch an einen Ort und zugleich daran, dass dieser nicht verfügbar ist – es sei denn als Grab. Es ist ein Innehalten, auch dies eine Form des Wachens, denn ein Tumult auch zu Wasser mag zurückliegen oder bevorstehen, da ist er nicht, trügerische Ruhe. Nur die kleinen Klüfte zwischen den Papieren geben etwas Halt und klären die mögliche Bezugnahme –Eintauchen, Schwelgen im Unendlichen, Formlosen (vgl. Damisch 2013, S. 11−23): das mag einmal gewesen sein, wir erinnern das Träumen.

 

Das Um- und Einschlagen von Form, die einige Festigkeit nur auf dem Papier oder Bildträger gewinnen kann, interessiert Wölzl auch im Umgang mit anderen prekären Dingen: In Der Schlaf (2019) ist es Menzels Ungemachtes Bett (um 1845), seinerseits eine kleine Kreidezeichnung, das sich über drei Papiere erstreckt. Es kommt in einem Konglomerat mit Ausschnitten aus Werken Holbeins, Bertlmanns und Berninis seitenverkehrt – ich möchte sagen – zu liegen und erscheint schimärenhaft, so wie die anderen Arbeiten auch. Wolken und Kissen, auch an Dürer ließe sich denken, bieten gute Gelegenheiten, in unterschiedlicher Weise Körper hineinzusehen, einmal flüchtig und bildhaft, figürlich-werdend, einmal etwas beständiger und körperlich, bildet doch Menzels Kopfkissen gleichsam eine Schnauze aus, dort, wo der Kopf eben nicht gelegen hatte: Beides, sowohl das Erzeugen als auch das Wahrnehmen der Hinterlassenschaft ist in einer Arbeit nach einer Gewandstudie Leonardos für eine sitzende Figur (Musée du Louvre, Cabinet des dessins, Inv. 2255 recto) wirksam, die ins Museum der Schatten Eingang gefunden hat (2007, gesamt 201 x 212 cm). 6-teilig, weil blockhaft, ein bauschiger Sockel für den Oberkörper einer Frau, womöglich die Maria der Verkündigung in den Uffizien (um 1472), ein Sockel aus Tuch, gleichfalls haltlos, um ein Kind zu empfangen oder zu tragen. Was bei Leonardo gesehen werden kann, ein dunkler Schoß jenseits der lichten Gewandlegung, ein Spiel aus großem Schwung da, kleinem Schlängeln dort, wird im großen Format überdeutlich: Insgesamt gedrungener werden aus kleinen Klüften tiefe Gräben, der Schoß wird zu einer finsteren gefräßigen Tasche, das leichte Schlängeln mehr gewunden, der nahezu mittige linke Fuß, der sich unter dem Gewand abzeichnet, fratzenhaft. Ist Leonardos Blatt bereits beunruhigend, kann die Nachzeichnung leicht monströs anmuten – schließlich wird uns großformatig weniger als ein Teil eines weiblichen Körpers gezeigt. Es sitzt ein mächtiges Tuch, keine stattliche Frau, der Raum, einen anderen Körper aufzunehmen, wird dennoch angezeigt. Nicht minder mütterlich auch die Geste (2011) nach Piero della Francescas Fresko in Monterchi, der Madonna del Parto (vor 1467), im selben Format und derselben Anordnung wie die Gewandstudie, auch sie Teil des Museums. In radikalem Ausschnitt wird Marias rechte Hand wiedergegeben, die sie vorsichtig auf das über der gewölbten Leibesmitte aufgeknöpfte Gewand gelegt hat, in einem Spalt ist etwas vom weißen Unterhemd zu sehen. Weniger verdeckend oder dezidiert zeigend als schlicht, vielleicht demütig, darauf hinweisend: auf den Kern nicht nur Pieros Konzeption, das Mysterium der Inkarnation (vgl. Damisch 2015).

 

Ganz generell insistiert Rainer Wölzl auf Gesten, wie mir scheint, nicht nur in diesen Bildern, die bereits Konstellationen sind. Es wird zitiert, ein Dialog wird aufgenommen, nicht angeeignet, es interessiert weder die möglichst unverfälschte Wiedergabe noch eine quasi-argumentative Funktion. Die Wiederholung setzt auf das Fragment, das Stückhafte auch des Erinnerns, das durchaus präzise sein kann, aber wählerisch ist. Weder wird Kontinuität behauptet noch Wissen hergeleitet, es wird das Fragmentarische auch des historischen Bezugspunktes vorstellig. Ein „Spiel mit Adoption und Adaption“ (Schor 2011, S. 13) nicht nur im literarisch-malerischen Dialog, sondern auch im Nachzeichnen sowie im Bezug zwischen Bildhaftem unterschiedlicher Herkünfte, dessen Zusammenspiel es aufzunehmen gilt – GabrielRamin Schor schrieb in diesem Zusammenhang von einem Aufheben der Gegensätze sowohl zwischen Abstraktion und Figuration als auch, in Konsequenz, zwischen Realem und Imaginärem (Ebenda, S. 13−15). Vielleicht sollten diese Bezugnahmen selbst als Gesten verstanden werden, als in der Blickeinstellung und im Nach-Zeichnen hergestellte Korrespondenzen, ein Anordnen von Bezugslosem – Sternbilder.5Dennoch, es bleibt ein erzählerischer Raum, weit entfernt von anekdotischen Geflechten und auch rein formalen Akkorden. Selbst in der Gewandstudie nach Leonardo wird die abwesende Figur nicht dem Sockel oder Volumen geopfert, voll entfaltet wird dieser erzählerische Raum aber in den 10- oder 12-teiligen Bildgefügen, in denen verschiedeneikonische Splitter kombiniert und neu verfugt werden; die Verbindungen sind wederwillkürlich noch in irgendeiner Weise zwingend, es sind vielmehr intensive Zusammenhänge, die hergestellt werden (können). Die Blickeinstellung wird verändert und dies nicht nur hinsichtlich der Distanz. Und auch dabei kommt Heiteres ins Spiel –nicht nur, weil dies und jenes, das ans Herz gewachsen sein mag, wiederholt wird und die Freude am tätigen Schauen ansteckend ist, sondern weil die Dinge einander zugefallen scheinen.

 

In der 8-teiligen Aktion Mona (2011) bilden Unterarme und Hände Leonardos Portrait der Lisa del Giocondo (1503-06) die Grundlage einer hinsichtlich der Produktion von Bildern von Frauen durchaus ironisch-selbstkritischen Konstellation: Auf vier im Hochformat platzierten Blättern (je 100 x 70 cm) wird die im damaligen Italien noch ungewöhnliche Handgebarung im Bildvordergrund, die Linke aufgestützt, die Rechte sanft und beiläufig auf dieser ruhend, auf nahezu drei Metern Breite in den Blick gerückt. Diese Partie, die elegant-geruhsame Selbstberührung, bildet ihrerseits das Fundament für vier Oberkörper, von denen drei in etwa in jener leichten Wendung nach links erscheinen, die uns vom Oberkörper Lisas in Erinnerung ist. Selbstredend müssen diese vier Oberkörper in größere Distanz gerückt sein. Deren vierter bzw. erster gehört einem Produzenten: In einer Wendung nach rechts, in Richtung Bildmitte, in Anzug und mit fliegender Krawatte schüttet Rudolf Schwarzkogler seine ‚Farbe’ überdas Haupt der weiß verschleierten und behandschuhten Anni Brus mit nacktem Oberkörper (1. Aktion, Hochzeit, 1965, fotografiert von Walter Kindler). Ihre Linke, auf dem Bauch liegend, bildet eine Parallele zu jener von Lisa, der Bürgerlichen in kostbarem Tuch, deren Bildnis von ihrem Mann Francesco del Giocondo in Auftrag gegeben worden war und dennoch zur langlebigen Projektionsfläche Vieler werden sollte. Die Sanftmut in Blick und Lächeln dank kleiner Verschattungen, der zarte Schleier, das Karge und Zerklüftete der Landschaft, das rauchige Ambiente habenunterschiedliche (Männer-)Phantasien angeregt, die Rainer Wölzl mit amusement zuwenden weiß: An die überschüttete Anni Brus schließt er das Pferd mit aufgerissenen Augen aus Füsslis bizarr-peinigender Bildwelt an (aus Die Nachtmahr, um 1790), daran wiederum eine Zeichnung nach Leonardos Skizze für die Konstruktion der armierten Gussform für den Kopf des Sforza-Pferdes (Codex Madrid II, Ms. 8936, fol. 157r, um1491/93). Frau, Pferd und gezeichnete Gussform stellen zusammen Möglichkeiten dar, die Belastete zu ergänzen und die Phantasmen zu kommentieren – der Künstler mit Krawatte werkt an ‚seinem’ Bild und seine Geste ist hier ganz ausgreifendes Handeln, das entschieden über die Blattgrenze hinweg ragt.

 

Ebenfalls in die Breite getrieben, was der tief nach vorne gebückten Kauernden entspricht, wird eine andere Arbeit Füsslis: Das Schweigen (um 1800), seine Formulierung der Melancholie. Gesichtslos, das Haar vornüber fallend, die Arme in den gegrätschten Beinen überkreuzt – die Kauernde ist ein gänzlich verschlossenes Körpergebilde. In Melancholie (2015, 12-teilig) trägt sie einerseits Dürers Polyeder aus6Melencolia I (1514) und ein Stück der Klagemauer, Ort des Gebets, gleichsam auf ihrem gebeugten Rücken. Das Kantige des mathematischen Körpers kontrastiert einerseits den schlaffen, klärt in den Linien aber auch dessen Haltung, andererseits vermittelt er zum Mauerwerk, dem Disteln entspringen, die ihrerseits zu Pollocks geronnenen Farbspuren  im unteren Register leiten. Das herodianische Mauerwerk ist aber nicht nur geordnet, sondern auch eine Anhäufung von Steinblöcken unterschiedlichen Formats. In dieser Hinsicht führt es zu einem Meer an deponierten Autoreifen. Bodennähe, das Tragen diverser Lasten, Reste und Ruinen, weit entfernt von einem gestirnten Himmel: der Blick wird schließlich zu Menzels Fuß (1876) geführt, auf ein malträtiertes Untergestell, das dieser schonungslos portraitierte.

„Lassen sich Arbeiten schaffen, die nicht ins Feld der Kunst marschieren?“ fragt Rainer Wölzl. Jedenfalls, denn nichts marschiert hier. Der Monteur Wölzl gibt ein Antidot gegen Immersion, monumental und fragmentarisch – in bester Tradition einer dunklen und auch ironischen Moderne.


Edith Futscher

 

Literatur:

Ausst.-Kat. Rainer Wölzl. Ein Auge (offen) (anlässl. der gleichnamigen Ausstellung im Museum Moderner Kunst Wörlen Passau, 6. Mai bis 3. Juli 2011). Wien / Wörlen Passau 2011.

Blanchot, Maurice: Die Schrift des Desasters (1980). Dt. von Gerhard Poppenberg und Hinrich Weidemann. München (Wilhelm Fink Verlag) 2005.

Damisch, Hubert: Theorie der Wolke. Für eine Geschichte der Malerei (1972). Dt. von Heinz Jatho. Zürich / Berlin (diaphanes) 2013.

Damisch, Hubert: Eine Kindheitserinnerung von Piero della Francesca (1997). Dt. von Heinz Jatho. Zürich (diaphanes) 2015.

Didi-Huberman, Georges: Was wir sehen blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes (1992). Dt. von Markus Sedlaczek. München (Wilhelm Fink Verlag) 1999.

Gorsen, Peter: Die schwarzen Bilder und die Mystik des Verschwindens. In: Rainer Wölzl. Malerei / Zeichnung, 86/87 (anlässl. der Ausstellungen in den Galerien Hermayer, München, Hilger, Wien, Colmant, Brüssel, 1987). Wien / Frankfurt 1987, o. S.

 Schor, Gabriel Ramin: Einkerkerungskunst. In: Rainer Wölzl ... falls diese Vorstellung beibehalten wird. Zu Samuel Beckett – Der Verwaiser (anlässl. der Ausstellungen in der Galerie Tammen & Busch, Berlin, der Hochschule für angewandte Kunst, Wien, dem Marburger Universitätsmuseum, 1996-97). Ostfildern-Ruit (Verlag Gerd Hatje) 1996, S. 5−27.

Schor, Gabriel Ramin: Murmeln im Dunkeln (und manchmal ein sehr leises Gelächter) – Rainer Wölzls Augen- Kunst. In: Rainer Wölzl. Ein Auge (offen) (anlässl. der gleichnamigen Ausstellung im Museum Moderner Kunst Wörlen Passau, 6. Mai bis 3. Juli 2011). Wien / Wörlen Passau 2011, 7–37.

 

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