Ich habe nichts empfunden,
nur die Nacht habe ich empfunden
und in ihr habe ich das Neue erblickt.
Durch die schwarze Fläche
hat es sich in mir ausgedrückt.

Kasimir Malewitsch




Traktat über die Malerei des Verschwindens

 

Wenn die Liebe das Sich-Verlieren ist, so ist die Malerei das Verschwinden.
Alles was ich sehe , mir auffällt, mir zustößt, ist bereits vergangen, so auch die Zukunft, die auf mich zukommt. Vergangenheit - Vorgehen - Verschwinden. Was bleibt sind Spuren, ist die Errinerung, das Auftauchen, die Erscheinung, das Auslöschen der Zeit - zeitlos.
Die Farbe Schwarz ist die Absorption allen Lichts, die Dunkelheit, die absolute Farbenpracht, der Lichtschwamm, die Verweigerung und die Unmöglichkeit alles reflektieren zu wollen, zu können. Schwarz ist undurchsichtig, erscheint körperlich - der Körper ist das Loch, das Fernrohr der Erkenntnis. Schwarz schließt ein, verdeckt, grenzt aus, ist die Einheit aller bestimmten Inhalte, hat die Weite der Unbestimmtheit, der Allbestimmtheit.
Schwarz ist eine Farbe, die sich durch ihre innere Dialektik zwischen Indifferenz und Immaterialität einerseits, und andererseits durch ihre Möglichkeit zu koloristischer Differenzierung auszeichnet - ein Schweben zwischen Glanz und Mattheit.
Das Licht ist relativ, der Raum absolut; ohne Licht existiert kein Raum - raumlos - der Schatten im Schatten.
Die Malerei des Verschwindens erreicht ihre angestrebte Suggestivkraft durch ihre Dunkelheit, ihre Finsternis, die ich manchmal als Freiheit empfinde. Schwarz verweist auf sich selbst und transzendiert sich selbst.
Schwarz verkörpert, vergeistigt das prozeßhafte meiner Malerei, die Synthese von figurativer und informeller Malerei. Kontrolliert - unkontrolliert, bewußt unbewußt. Das Verschwinden geht letztlich im Prozeß des Malens selbst auf. Das Ideal des Schwarzen ist inhaltlich einer der tiefsten Impulse von Abstraktion (Adorno). Die Malerei des Verschwindens ist ein Versuch, die spezifische Form der Erkenntnis, die die Malerei noch immer darstellt, zu thematisieren, mit dem vielleicht sisyphoshaften Bestreben, die Möglichkeiten, die diese Wirklichkeitsaneignung bietet, nicht preiszugeben. Wenn die Realität in die Funktionale gerutscht ist, das heißt, die Anschaulichkeit der Wirklichkeit schwindet, so ist sie doch nur über ihren sinnlich wahrnehmbaren Prozeß erahn bzw. erkennbar. Auch auf die Gefahr hin, daß durch die Ästhetik der Malerei die bereits entfremdete Wirklichkeit idealisiert wird. Malerei bleibt der schöne, häßliche Schein, die vereinfachte Simulation, die uns vielleicht ermöglicht, die Wahrheit zu begreifen. Ich werde verschwunden worden sein.


Rainer Wölzl, 1983