Philosophie des Schwarzen im Minimalisieren des Reliefs.
Schwarz auf dem Weg zur Farbigkeit

 

 

Schwarz sei keine Farbe, sagt man. Wollte man dem Schwarzen jenseits dieser Frage eine Bedeutung zumessen, dann möchte man darauf verfallen, vom Ausdruck einer entschiedenen Melancholie des Worts selber zu sprechen im onomatopoetischen Sinn des Wortbildes. Da wäre dann aber gleich die andere Frage, ob man das abstrakt-Gefühlige einer entschiedenen Melancholie überhaupt onomatopoetisch artikulieren kann. Weitere Schwierigkeit des hier Zusammengebrachten taucht darin auf, dass sich Melancholie bewegt in einem hohen Grad der Zerstreutheit, was sich nur kaum mit Entschiedenheit verbindet. Doch wenn der eine Wortsinn den anderen beeinflußt, wenn das Melancholische mit seiner Begleitetheit durch das Zerstreutsein zugleich ein Pluralisieren zerstreut zugreifender Entschiedenheiten, hin- und herfahrend, auftauchen läßt, den Sternschnuppenregen der genauen und doch schwer fasslichen Einfälle, und wenn wiederum die plurale Entschiedenheit im Melancholischen dafür sorgt, dass Melancholie am wenigsten mit einheitlich drückendem oder vergleichgültigem Nebel zu verwechseln sei, sondern einem exaktifizierenden Beweglichkeitszustand des stets griffbereiten, statt verdämmernden Zerstreutseins hervorkehrt, dann gibt es an Entschiedenheit noch mehr alsdie eindimensionale etwa vom Schicksal und Charakter und an Melancholie noch mehr als die gewöhnlich assoziierte Traurigkeit. Und das eben in der entschiedenen Melancholie, wie sie einem in einem Ausdruckswert des Schwarzen begegnen mag.


Nun aber zu überlegen das Verhältnis des Schwarzen zum Farbigen. Was jedem schon in den verschiedensten Situationen aufgefallen ist: Sobald die leisesten Differenzen in Schwarze einziehen, wird keine Farbe in sich so malerisch beweglich wie eben dieses Schwarze. Dem nähert sich höchstens noch das Grau, Wolkenhimmel führen solches vor Augen. Alle Farben aber überspielen und überwiegen ihre internen Differenzen durch den jeweiligen Hauptton. Dieses sich Auszeichnende am Schwarzen und seinem Abkömmling des Grauen aber biegt sich zurück zum Sinn der Melancholie in zerstreuter, zerstreuender, sich zerstreuender Präzision, der die Differenzen das Gemeinsame, den Hauptton, den Diapason, wie das auch in der Geschichtstheorie seit dem 19. Jahrhundert heißt, in den Hintergrund verschieben, statt daß solche Identitätsgewalt das Unterschiedene zudeckt mit ihrem Optimismus. Insofern eben der Trauerzug am Melancholischen ohne Tränenvorhang aus Sentimentalität und ohne vereinende Feierlichkeit eben gerade. Denn es geht der Melancholie ja um das Retten des Differenziellen, des nicht Übereinstimmenden und um Genauigkeit statt Stimmung. Schwarz hätte gerade nicht Symbol der Trauer- Traurigkeitsklischees werden dürfen, aber man wollte es mit solcher Farbensittlichkeit, welche Farblosigkeitssittlichkeit einschließt, in seiner gefährlichen Unruhe kaputtmachen. Das bewirkt aber heute noch die Lächerlichkeit aller Partekarten und Sargbedeckungstücher, sobald man sich vom Sentimentalisieren zu befreien bemüht.


Solche Spannungen haben wohl Rainer Wölzl bewogen, die Unternehmen des Monochromen besonders auf das Farblose des Schwarzen zu konzentrieren. Sein Differentiationsverfahren setzt dabei weniger Tonabwandlungen des Minimalisierens ein, als vielmehr Minimalisieren des Reliefhaften, das Malerei ja durchaus hervorzubringen vermag. Mittels des dieserart schwach Erhabenen legt sich ein je nach Beleuchtung und Blickverhältnis dazu ständig wechselnder, auseinander- und zusammenschließender Schimmer über seine Tafeln mit impressionistischer Wirkung im Mikrooptischen des Tonwechsels, das analytisch Visuale, welches die Analysen aber von Moment zu Moment transformieren muß schon allein durch die Bewegung des Augapfels und die Augenaufschläge des Schauenden.


In solchem aufreißenden und zufallenden Schimmer beginnt man zu entdecken, dass offensichtlich variiert Monochromes in seiner Abstraktivität gebrochen wird durch ein Gegenständliches im Entzug, der hervorscheint aus der Schwärze. Solch Restrealistisches wird durch sein Minimalisieren überzogen befilmt und verkleidet unterschwellig. Man muß es erst mühselig ersehen und entziffern, was es dem laxen Hinschauen ins Übersehen rückt, es einer breiten Aufmerksamkeit aber umso auffälliger machen mag. Fällig bleibt natürlich da trotzdem noch die wahrnehmungspsychologische Frage danach, ob nicht gerade das der Unaufmerksamkeit Unsichtbare über das Unbewusste im Unaufmerksamen viel stärker wirkt, als man zunächst annimmt und im Aufmerksamen bewusst geschieht, doch an der Oberfläche. Das Realistische also oder vielmehr Gegenständliche in formaler Ansicht fällt also am wenigsten marktschreierisch ins Auge, indem es der Offensichtlichkeit seiner Motive frönen würde. Selbst dort, wo es in neuen Arbeiten von Wölzl sich zu Bronze-Fragmentstücken des Zusatz-Skulpturellen aus Hand, Kopf und Fuß zusammenballt, schwarz patiniert, entgleitet es sogleich wieder. Das Körperliche des Menschen und der Menschenversammlungen in lauter Polarität bildenden Kreisen gern, Hauptmotiv des verschleiert-auffällig Gegenständlichen, wird eingebunden, ja eingedickt in die differentielle Schwärze, von deren visueller Beweglichkeit zuvor geschrieben wurde.
Auch darin projiziert Wölzl seine Ästhetik eines laufenden Auftauchens zu Kaum-Merklichkeit. Die minimale Differenz ist es, die sich auflehnt gegen die einfache Symbolgeschichte nicht bloß des Schwarzen, sondern auch rahmender Allgemeinstrukturen des Bildlichen. Verliert dabei das Schwarze seine abgestempelte Erhabenheit des Trauerfeierlichen, so setzt Wölzl anders das Diptychale gegen Triptychon. Triptychon steht symbolgeschichtlich für das Trinitale einer Versöhnungsdialektik, als wäre sie einlösbar oder religiös schon eingelöst. Das Diptychale steht dagegen symbolisch ein für Ankündigung von etwas, dessen Beschaffenheit oder Sinn noch offen unentschieden sind. Kleiner Unterschied der Tafelanzahl, und doch setzt er die entgegengesetzte Wirkung in den Eindruck, an die Stelle des gewährenden wie gewährten Versprechens tritt die Frage ohne entscheidbare Antwort noch in der Säkularisation des Diptychalen zum bloßen Vorhang, zu allen Vorhängen dieser Welt. Der Vorhang zu und alle Fragen offen, hätte das antireligiös Theologische bei Bertolt Brecht sagen können, würde solches nicht schon im Faust gestanden haben, freilich weiterhin zitierbar. Wo aber Wölzl doch vom Diptychalen her mit dem Triptychalen experimentiert, da nur eben mit Abwandlungen zu einem Querlegen und zu einem Verschieben der Gliederungselemente, zu einem Verteilen ihrer auf die verschiedenen Raumdimensionen der Vertikalen, der Horizontalen. Symbolisierensbruch an zentrierenden Gewohnheiten, so sehr eingewöhnt, daß noch jeder von uns daran schleppt, findet also statt, man solle auch dem Kreuz und der Kreuzigung folgen in ihren Verlagerungen. Darin taucht nicht Opfertodversprechen auf, sondern das Entweichen des Opferns in den versprechenslosen Leerlauf.


Was wäre nun mit solchen Darstellungsverfahren, wie sie zu tun haben mit den heute ausgebreiteten Minimalisierungstendenzen des Künstlerischen, weiterhin meinbar? Einerseits schon das Kassieren der großen Erzählungen aus Kunstversprechen noch mit dem Aufbruch der Kunst zu den Massen durch pop-art, die bei den Massen als Art nicht anlangte, sondern nur angewandt. Das leistete aber auch die Kunstmoderne aller Richtungen, von der sich pop-art absetzen wollte wegen deren angeblicher Elitarität, diese Ankunft in der Angewandtheit. Welche Werbung ohne Billsches, ohne Alberssches, Ernstsches, Dadaistisches und so weiter, um Überziehen von namedropping zu vermeiden.


Zum anderen mindestens lehnt sich das Herausarbeiten des Schwarzen zu schimmernder Farbigkeit, ohne daß Schwarzes verlassen wäre, einzig durch minimalisiertes Reliefieren auf gegen den wachsend gesteigerten Hang heute zu Tautologischem, Schwarz sei schwarz. Wir leben nämlich in einer sich verdigitalisierenden, das heißt ins Schritt für Schritt eines gleichsam so nennbaren Tastaturbetriebs zwingenden Realstruktur des Gesellschaftlichen, von der postmodernen Rede einer pluralistischen Streuungskultur, sofern in Einfalt verstanden, als könne man gegen Identitätszwang ebenso identisch mit sich Nichtidentität setzen, nur ablenken will. Real also beherrschen unseren Alltag, x sei entweder a oder b oder c oder d oder ... usw., zwischen diesen Entschiedenheiten gäbe es nichts, während uns die postmoderne Kultur vielstimmig souffliert, sie sei das Dazwischen. Was aber als Dazwischen serviert wird, muß ihr wiederum entweder a oder b oder c oder d oder ... usw. sein. Das hilft nichts gegen den Hauptton des Tautologischen. Wölzls Differentialkunst nun arbeitet gegen den Trend der neuen Übersichtlichkeit in der gesellschaftlichen Realstruktur, der das Versprechen zum Versprechen selber wird ohne Maß an Einlösbarkeit. Diese Arbeit gegen neue Übersichtlichkeit vermeidet trotzdem Parteiname für Reden von neuer Unübersichtlichkeit in der kulturellen Darstellungsstruktur des Gegenwartsgesellschaftlichen, ja macht aus dem Vermeiden heraus anschaulich erfahrbar, wie sehr die neue Unübersichtlichkeit selbst unter ihren Verächtern an voreingenommener Selbstübereinstimmung leidet, sonst wäre sie nicht derart unübersichtlich.

 

Burghart Schmidt, Wien 1994
(Vorwort aus dem Katalog: Rainer Wölzl – Das Konzil der Buchhalter, Kunstverein Horn, 1994)