Gestrigkeit für die Ewigmorgigen

 

 

»Pergamon« ist eine Folge von drei Ausstellungen betitelt, mit der sich Rainer Wölzl im Moment in deutschen Kunstinstituten präsentiert. Der Zyklus bezieht sich speziell auf die »Ästhetik des Widerstands«, jenes dreibändige Parforce­Stück, in dem Peter Weiss Ende der Siebziger noch einmal auf den ausufernden Punkt zu bringen suchte, was ein sozialistisches Verständnis des Kulturellen sein könnte. Beim Wiederlesen von Weiss\ Opus Magnum verwundert heute vor allem die strikte Widerständigkeit gegen alle Vermischung von High and Low. Weiss orientiert sich ausschließlich am Meisterwerkprinzip der Hochkunst. Der Blick des Arbeiters und jener der Bourgeoisie richten sich auf die selben Objekte.

 

Weiss folgt, mit anderen Worten, einem klassischen Kanon, und diese Beharrlichkeit ist es, die Wölzl mit ihm teilt. Mit den Malereien, Zeichungen und Plastiken aus jüngster Produktion, die Wölzl in der Galerie Hilger zeigt, wird vorgeführt, dass es sich lohnt, auf künstlerische Kontinuität zu setzen. Natürlich ist das Kanonische immer auch das Konventionelle. Es gibt in diesem Werk Überzeugheiten, die von den Ewigmorgigen längst zu Grabe getragen worden sind: Vor allem gibt es ein Menschenbild. Kunst, so steckt dahinter, hat eine anthropologische Konstante.

 

Dieses Menschenbild ist nicht naiv. Der Preis jeder Figur ist ihre Zersetzung, Fragmentierung und Deformierung. Das Thema jeder Figur ist Gewalt, und hier trifft sich Wölzl am stärksten mit dem anti­utopischen Impuls von Peter Weiss. Anders aber als beim Literaten ist der Gewinn jeder Figur eine geläuterte Form von Heiterkeit: Speziell bei den »Reigen« genannten Bronzen kommt eine Lebendigkeit ins Spiel, die an den vitalen Elan von Matisses »Tanz« erinnert. Das alles ist nicht neu, doch gerade in seinem Kalkül mit dem Kanon stellt es sich der Vergleichbarkeit. Darin erarbeitet sich Wölzl einen Widerstand der Ästhetik: Wer von den Avancierten wäre bereit, sich mit Picasso oder Matisse zu messen?


Rainer Metzger, Wien 2002
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